Donnerstag, 30. Juli 2009
Auf Kurs in die Zukunft: Das Phänomen Piratenpartei
Wenn es die Piratenpartei nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Das meint zumindest die gefühlte Mehrheit der Internetnutzer, die in zahlreichen Foren, Blogs und sozialen Netzwerken auf sich aufmerksam macht. Teilweise kommt es einem so vor, als würden die Piraten bei der nächsten Bundestagswahl die absolute Mehrheit erringen, angesichts von Internetumfragen, die ihr regelmäßig ein Ergebnis von 60% plus x einbringen.
Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass diese Umfragen nicht einmal im Ansatz repräsentativ sind. Bei der Europawahl haben die Piraten mit knapp 0,9% abgeschnitten und gerade mal die Hälfte der Bundesbürger kennt die Partei überhaupt. Dennoch gibt es mehrere Symptome die andeuten, dass die Piraten die Erfolgsgeschichte der Grünen möglicherweise wiederholen könnten.

1.)
Die seit den achtziger Jahren beginnende, schleichende Erosion der sogenannten Volksparteien, die sich zunehmend beschleunigt. Die Volatiliät ihrer Wählerschaft hat sich dramatisch erhöht und dies haben sie großteils selbst verschuldet. In Machtvergessenheit und Machtversessenheit haben sie sich zu professionalisierten Kartellparteien entwickelt, denen es nur darum geht, möglichst viele Wähler abzugreifen. Um dies zu bewerkstelligen, haben sie sich von ihren weltanschaulichen Identitäten fast gänzlich entfernt, sodass man heute kaum noch einen Unterschied zwischen Union und SPD auszumachen vermag. Diese sind weder Repräsentanten echter gesellschaftlicher Konflikte noch Mittler zwischen Staat und Gesellschaft. Vielmehr sind sie vergleichbar mit einem Chamäleon das versucht, sich seiner Umgebung optimal anzupassen. Horst Seehofer ist ein besonders perfides Beispiel für so ein Chamäleon.
Der zunehmend postmaterialistische und gut informierte Wähler lässt sich jedoch nicht mehr so leicht auf Dauer täuschen. Gebrochene Wahlversprechen merkt er sich und unsinnige Wahlgeschenke enttarnt er als Steuerverschwendung. Die Wissensgesellschaft ist so zum größten Feind der Volksparteien geworden.

2.)
Das Aufbrechen neuer Gräben in der Gesellschaftsstruktur fördert die Entstehung
neuer Integrationsparteien und verändert die Wettbewerbsbedingungen in den Parteiensystemen grundlegend. Nach dem Politikwissenschaftler Kitschelt (1994) gruppieren sich die Wähler entlang einer linkslibertären- rechtsautoritären Achse neu.
Die Kluft zwischen den jungen, postmaterialistischen Verfechtern der freien Informationsgesellschaft und den primär auf Sicherheit und persönlichen Wohlstand
bedachten Materialisten wächst also.

3.)
Die „Etablierung“ der Grünen und die Wende der FDP zum Marktradikalismus führt dazu, dass die Piratenpartei die Nische im linkslibertären Bereich besetzen kann. Die Grünen, einst eine bürgernahe, idealistische Partei, haben sich zunehmend von der
Realpolitik vereinnahmen lassen. Im Zweifelsfall geben sie ihre liberal ökologisch- pazifistischen Überzeugungen auf, um den Machterhalt zu gewährleisten. Beispiele sind hier das Votum der Grünen für den Kosovo- und Afghanistan Krieg, das Mittragen der Agenda 2010 in allen Punkten sowie das Einknicken vor Ole von Beust Elbhafenpolitik in Hamburg.
Die FDP hingegen hat sich seit der Ersetzung der Freiburger Thesen durch die Kieler Thesen vom Sozialliberalismus verabschiedet und ist zu einer Interessenpartei der marktradikalen Wähler geworden. Auch sie vermag es nicht, ihre liberale Bürgerrechtspolitik gegenüber ihrem bevorzugten Koalitionspartner durchzusetzen, wie man beispielsweise in Bayern sieht. Zusammenfassend kann man also sagen, Grüne und FDP können nur deshalb momentan so viele Wähler hinzugewinnen, da die Volksparteien in noch schlechterer Verfassung sind und keine ernstzunehmende Alternative besteht. Das hat aber weniger mit eigener Stärke als mehr mit der Schwäche der Konkurrenz zu tun.


Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts Emnid haben die Piraten bei circa 50% Bekanntheit ein Wählerpotential von sechs Prozent. Wenn es ihnen gelingt, ihren Bekanntheitsgrad auszubauen und mit ihren Themen die sozialliberale Nische zu besetzen, ist es durchaus möglich, dass sie die einstige Erfolgsgeschichte der Grünen wiederholen und 2013 in den Bundestag einziehen. Es wäre ihnen zu wünschen, denn Freiheit und Bürgerrechte werden in diesem Staat immer weniger für schützenswert befunden.

... link (0 Kommentare)   ... comment